Übersetzerin des Monats: Johanna Domokos

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Interview

NORLAs Übersetzerin des Monats ist im Februar Johanna Domokos, Komparatistin, Herausgeberin und Übersetzerin. Sie ist Assistenzprofessorin an der Fakultät der Künste der Gáspár-Károli-Universität in Budapest sowie verantwortliche Koordinatorin für die Übersetzung und Publikation von Büchern an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld.

Johanna Domokos

Zusammen mit ihren Studenten – die sich angeregt durch die Projekte dem Erlernen der saamischen Sprache verschrieben haben – hat sie mehr als ein Dutzend Bücher zu saamischer und skandinavischer Literatur in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht. Anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2019 verantwortet sie zusammen mit Christine Schlosser und Michael Riessler die Herausgabe der ersten umfassenden Anthologie saamischer Lyrik in deutscher Übersetzung. Das Projekt wird von NORLA gefördert.

Wo haben Sie die saamische Sprache erlernt? Wie kam es, dass Sie saamische Literatur übersetzen?

Von 1992 bis 1993 studierte ich mit dem CIMO-Stipendium Fennistik und Finnougristik an der Universität Helsinki.

Gleich nach meiner Ankunft ging ich in die Akademische Buchhandlung in Helsinki, wo ein ausgefallenes Buch auf dem Ladentisch sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es handelte sich um Beaivi Áhčážan (Sonne, mein Vater), ein Lyrik- und Fotoband von Nils-Aslak Valkeapää, der 1991 mit dem Literaturpreis des Nordischen Rates ausgezeichnet worden war. Da ich neugierig war und bereits selbst Gedichte veröffentlicht hatte, stand mein Entschluss fest, mich im Nordsaamisch-Kurs von Irja Seurajärvi-Kari einzuschreiben und dieses Buch zu übersetzen. Es dauerte vier Jahre, dann lag der Band auf Ungarisch, in meiner Muttersprache, vor.

Die Anthologien sind in Zusammenarbeit mit Studierenden Ihrer Fakultät entstanden. Erzählen Sie uns mehr darüber, wie viele Studenten Saamisch lernen und wie der Prozess der Übersetzung vonstatten geht.

Anfang 2013 begann ich, mit Studierenden verschiedener Seminare der Universität Bielefeld (Deutschland) an vier Buchprojekten zu arbeiten. Sämtliche Bücher hatten die saamische Literatur und Kultur zum Gegenstand und wurden anlässlich des finnischen Gastauftritts auf der Frankfurter Buchmesse 2014 geplant.

Die Projekte entstehen in einer Art Pyramidenstruktur. Nach einer intensiven Diskussion, was den Kontext, Inhalt und Stil des Buches anbelangt, wird der Text in kleinere Einheiten aufgeteilt. Einzelne Studenten übernehmen deren Übersetzung, die übersetzten Texte werden von den Mitstudenten korrigiert. Erfahrene, talentierte Studenten lektorieren dann umfangreichere Texteinheiten, die Endredaktion des gesamten Textes liegt dann in den Händen einer Person, eines erfahrenen literarischen Übersetzers oder eines Studenten, der entsprechende Qualifikationen mitbringt. In den ersten Jahren wurden wir von der Übersetzerin Christine Schlosser unterstützt, die ebenfalls aus dem Norsaamischen übersetzt. Einige Texte wurden aus dem Englischen übersetzt (z.B. das Buch über die saamische Kultur von Veli-Pekka Lehtola), andere aus dem Saamischen (im Fall literarischer Werke).

Für die Herausgabe der saamischen Bücher habe ich spezielle Kurse mit 15 Teilnehmern angeboten. Dabei war es die Aufgabe der Studierenden, Interlinearübersetzungen saamischer Gedichte zu erstellen. Für diesen konkreten Zweck erlernten sie, mit Hilfe von saamisch-deutschen Grammatiken und Wörterbüchern Textbedeutungen zu erschließen. Auf diese Weise entstand die englisch-deutsche Ausgabe des Bandes von Inger-Mari Aikio, Sahne für die Sonne, Cream for the Sun, die 2018 der Schiler Verlag in der Übersetzung der Gruppe Bie herausgab, die deutsche literarische Übertragung besorgte Anna Lenz und die englische Georgina Willms. Eine Studierende übersetzte selbständig einen ganzen Gedichtband von Niillas Holmberg (Der dem Wind auf dem Schoß sitzt, übers. von Katrin Merz). Christine Schlosser übertrug die Lyriksammlungen Árbeeadni von Rauni Magga Lukkari und Máilmmis dása Inger-Mari Aikio, die 2014 unter dem Titel Erbmütter – Welttöchter in einem Band im Eichenspinner Verlag erschienen. Jedes Projekt hat seine individuelle Struktur. An einigen sind 60 Studierende beteiligt, an anderen nur wenige. Bei etlichen Unternehmungen gab es eine Zusammenarbeit mit der finnischen Lektorin Sanna Grund und ihren Studenten.

Die Arbeit an der geplanten saamisch-deutschen Anthologie verläuft komplett anders. Während für die Übersetzung Christine Schlosser zuständig ist, hat Michael Riessler sämtliche Arbeiten rund um Druck und Vertrieb des Buches übernommen, ich zeichne verantwortlich für die Auswahl der Autoren und Texte sowie für die Einholung der Abdruckrechte. In allen Belangen arbeiten wir allerdings eng und respektvoll zusammen und geben uns gegenseitig Unterstützung und Hilfe.

Wie gehen Sie vor bei der Auswahl der Texte und Autoren, die in die Anthologie aufgenommen werden?

Eines der wichtigsten Prinzipien bei der Auswahl besteht darin, die historische Dimension der reichen saamischen Lyriktradition aufzuzeigen, genauso wie deren räumliche Komplexität sowie ihre sprachliche Vielfalt. Die saamische Dichtung lässt sich bis 1672 zurückverfolgen, als Olaus Sirma, ein saamischer Student und Literat, Johannes Schefferus zwei Joiks überliess, der diese in der Lapponia, seinem europaweit zur Kenntnis genommenen Werk, veröffentlichte. Joiks sind die traditionellen Gesänge der Sámi, die bei schamanistischen Zeremonien, manchmal mit einer Schamanentrommel als Begleitung, erklangen und jahrhundertelang verboten waren. Die in der Lapponia abgedruckten Gedichte waren in einer freien Form abgefasst (weder in festen Reimen noch in Strophen), sie waren also bereits „modern“. Die für die Anthologie ausgewählte saamische Lyrik umfasst beides, ältere und moderne Joikgedichte, wie auch Dichtung im eigentlichen Sinne. In der Anthologie werden sowohl ältere als auch moderne Lyriktexte aller saamischen Literatursprachen (Südsaamisch, Pitesaamisch, Umesaamisch, Lulesaamisch, Nordsaamisch, Inarisaamisch, Skoltsaamisch, Kildinsaamisch, Ter- und Akkalasaamisch) vertreten sein. Einige Autoren schreiben in den offiziellen Landessprachen der skandinavischen Länder, also in Norwegisch, Schwedisch, Finnisch und Russisch, oder in Englisch – auch diese Sprachen werden in der Sammlung präsent sein. In der Anthologie werden die Texte sowohl im Original als auch in der Übersetzung zu lesen sein, damit folgen wir dem auf dem deutschen Buchmarkt zu beobachtenden Trend, Gedichtausgaben mehrsprachig herauszugeben.

Liegt Ihnen ein saamisches Buch besonders am Herzen? Und um welches handelt es sich?

Zu meinen Lieblingsbüchern zählt nach wie vor das bereits oben erwähnte Beaivi Áhčážan (Sonne, mein Vater) von Nils-Aslak Vakeapää. Es besteht sogar noch die leise Hoffnung, dass es anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2019 erscheinen wird. Die deutsche Übersetzung von Christine Schlosser ist seit drei Jahren fertig. Es gibt noch viele andere beachtenswerte Gedichtbände, so das kürzlich erschienene Buch Juolgevuođđu (Fußsohle) von Niillas Holmberg oder die Lyriksammlungen von Rauni Magga Lukkari, Rawdna Carita Eira oder Inger-MariAikio. Was die Prosa anbelangt, so würde ich Kirste Paltto, Jovná Ánde Vest, Áilu Gaup, Gerd Mikalsen und Sigbjørn Skåden erwähnen. Und Johan Turis Muitalus sámiid birra (Erzählung vom Leben der Lappen), das erste säkulare saamische Buch, das noch immer ein weltweiter Bestseller der saamischen Literatur ist. Auf Deutsch wurde es in zwei Auflagen von mehreren tausend Stück herausgegeben, beide waren innerhalb kurzer Zeit vergriffen.

Welches saamische Buch würden Sie gern ins Deutsche übersetzen?

Mich würde es reizen, saamischen Dramen ins Deutsche zu übertragen. Derzeit beschäftigen die Studenten der Gruppe Bie und ich uns mit Dramen von Sara Margrethe Oskal, einer außerordentlich interessanten Autorin. Als nächstes Projekt ist die Übersetzung des einzigen Dramas von Nils-Aslak Valkeapää geplant, wenn das Original erschienen ist und die Rechte geklärt sind.

Weitere Informationen

Gruppe Bie

Auf Deutsch: http://www.uni-bielefeld.de/fachsprachenzentrum/projects/group-bie.html

Über Johanna Domokos:

Auf Finnisch: https://www.finlit.fi/fili/johanna-domokos/

Erfahren Sie hier mehr über Bücher saamischer AutorInnen bzw. über Bücher zum Thema Saamen, deren Übersetzung von NORLA gefördert wurde:

https://www.flickr.com/photos/norwegianliterature/sets/72157677899669222

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